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Die Kinder von Erin (Leseprobe)


»Es war am Tag von Beltane, als die Tuatha Dé Danann nach Erin kamen. Sie kamen auf Schiffen, die durch die Luft fuhren, und ein Nebel umgab sie, sodass keiner Zeuge ihrer Ankunft wurde außer einem Seeadler, der in der Höhe kreiste.

Der Adler aber flog fort, bis er nach Tara in der Großen Ebene kam, wo Eochai, der König der Firbolg, zu jener Zeit über Erin herrschte. Dort schwang der mächtige Vogel sich zu Boden und wurde zu einem Menschen; denn er war kein anderer als Tuan, der Gestaltwandler, der Älteste von Erin, wiedergeboren als einer der Firbolg. Und er ging zum König und berichtete ihm, es habe ein neues Volk in Erin Fuß gefasst - doch ob von dieser Erde oder aus den Lüften oder vom Himmel, das wisse keiner - und sich im Westen von Connacht niedergelassen.

Da ging Eochai mit den Seinen zurate, und man beschloss, einen Helden aus den Reihen der Firbolg zu den Ankömmlingen zu senden, dass er mit ihnen rede. Also wählten sie Sreng, der ein großer Krieger war, und er nahm seinen starken rotbraunen Schild und seine zwei dicken Speere und sein Schwert und brach von Tara auf in Richtung Connacht, wo die Fremden waren.

Als die Tuatha Dé Danann ihn kommen sahen, sandten sie einen ihrer eigenen Helden, Bres, den man den Schönen nannte, mit seinem Schild und Schwert und seinen beiden Speeren ihm entgegen.

Also gingen die beiden Helden aufeinander zu, und als sie in Sprechweite waren, rammte jeder von ihnen seinen Schild in den Boden und blickte den anderen misstrauisch an. Bres war der erste, der das Wort ergriff, und als Sreng hörte, dass der Fremde in seiner eigenen Sprache zu ihm redete, fasste er Vertrauen, und sie senkten ihren Waffen und traten aufeinander zu, um Fragen nach des anderen Herkunft und Stamm zu stellen.

›Wir sind die verlorenen Söhne Nemeds‹, sprach Bres. ›Lange Zeit sind wir in fernen Landen unhergeirrt, bis wir das Land unserer Träume wiederfanden. Nun sind wir gekommen, um hier zu bleiben, und wir fordern die Herrschaft über die Hälfte von Erin.‹

›Wer ist es, der dies fordert?‹, fragte Sreng.

›Nuadu ist unser König, und er trägt das Schwert der Macht. Und von seinem Gefolge sind die größten der Dagda, den man auch den guten Gott nennt, und Angus Óg, sein Sohn, sowie Ogma der Weise, Goibniu der Schmied und Diancécht der Heiler, und viele andere sind nicht weniger mächtig als sie, Krieger und Sänger, Schmiede und Handwerker ...‹«

»... doch einige sagen, Manannán, den man den Sohn des Meeres nennt, sei der größte von allen«, warf da Brigid ein, die ebenso wie Gunhild schweigend gelauscht hatte.

Manannán lächelte - ob amüsiert oder geschmeichelt, war schwer zu sagen - und fuhr fort:

»›Und als größte unter den Frauen nennt man die Mórrigan, die Krähe der Schlacht, und die drei Töchter des Dagda: Macha, die Göttin des Kampfes; Ériu, die Herrin des Landes; und Brigid, zu der die Dichter aufschauen und die zudem eine Heilerin ist und eine Kräuterkundige, wie es heißt, und sich auch auf das Schmiedewerk versteht ...‹«

Jetzt war es an Brigid zu lächeln.

»›... und unter den anderen Frauen sind viele Schattengestalten und Königinnen; doch Dana, die man die Mutter der Götter nennt, steht über allen.‹

Da staunte Sreng über die Macht und Herrlichkeit des Volkes der Göttin Dana; am meisten jedoch beeindruckten ihn die schlanken, spitzen Speere, die Bres trug. Bres selbst aber sah mit Staunen die dicken, starken Speere, die Sreng trug, und er fragte, ob alle Waffen der Firbolg von derselben Art seien. Und am Ende tauschten sie je einen Speer miteinander, damit die Krieger auf jeder Seite die Waffen der anderen in Augenschein nehmen könnten. Sie selbst aber schworen, dass sie beide Freunde bleiben würden, was immer auch geschehen sollte.«

Der Erzähler schwieg, bis Gunhild nicht umhin konnte zu fragen: »Und wie ging es weiter?«

»Sreng ging zurück nach Tara und überbrachte die Forderung und zeigte den Speer, und er riet den Firbolg, die Herrschaft über Erin zu teilen und nicht gegen ein Volk in den Kampf zu ziehen, das über so viel bessere Waffen verfüge als sie. Da ging Eochai mit den Seinen zurate und sie kamen zu dem Schluss: ›Wir werden nicht das halbe Land diesen Fremden überlassen; denn wenn wir es tun, werden sie uns bald das ganze nehmen.‹

Es war am Mittsommertag, als die Schlacht begann. Dreimal neun Krieger der Tuatha Dé Danann zogen gegen dreimal neun Krieger der Firbolg in den Kampf, und sie wurden geschlagen und alle von ihnen getötet.

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Doch am Abend der Schlacht sammelte die Mórrigan die Gefallenen auf, und der Dagda tauchte sie in seinen großen Kessel, und als er sie wieder herauszog, waren sie heil und gesund wie zuvor.

Dies war einer jener vier Schätze, welche die Göttin Dana aus der Fremde mitgebracht hatten: der Kessel des Lebens, den der Dagda hütete; das Schwert der Macht, das Nuadu führte; der Speer des Sieges, den Macha trug; und der Lia Fál, der Große Stein, den man auch den Stein des Schicksals nennt.

Doch als die Firbolg am zweiten Tag der Schlacht sahen, dass dieselben Krieger wie zuvor wieder gegen sie ins Feld zogen, da ergrimmten sie und kämpften noch härter und entschlossener, und am Abend des Tages gehörte der Sieg wiederum ihnen. Da riet Tuan seinem König, den Gefallenen die Köpfe abzuschlagen und sie auf die hohen Steine zu stellen, die das Feld säumten, damit der Feind sie nicht wieder in der Nacht zum Leben erwecken könne; denn er hatte in der Gestalt eines Fuchses den Dagda bei seinem Tun beobachtet. So geschah es, und seitdem nennt man das Feld dieser Begegnung Mag Tuired, die Ebene der Grabsteine.«

Gunhilds Blick war unwillkürlich zu dem Kopf des Fomoriers auf seiner Steinsäule gegangen, doch der Erzähler fuhr bereits fort:

»Am dritten Tag der Schlacht von Mag Tuired wurden große Taten auf beiden Seiten vollbracht, und viele Helden fanden den Tod. Am schrecklichsten aber wütete Nuadu mit dem Schwert der Macht, bis Sreng, der Held der Firbolg, ihm entgegentrat. Lange währte ihr Kampf, und sie schlugen sich viele Wunden, doch am Ende trennte Sreng seinem Gegner die rechte Hand ab, und Nuadu wurde von seiner Leibgarde vom Schlachtfeld getragen.

In jener Nacht waren die Fomorier zu erschöpft vom Kampf, um aufs Feld zu gehen und den Gefallenen die Köpfe abzuschlagen, und so arbeiteten die Mórrigan und der Dagda die ganze Nacht daran, die Toten wieder ins Leben zu rufen.

Am vierten Tage zog Macha, die Göttin des Kampfes, an der Spitze der Tuatha Dé Danann in die Schlacht, und ihr Speer leuchtete wie die Sonne. Da überkam Eochai, den König der Firbolg, ein großer Durst, und er ging vom Schlachtfeld hinweg, um etwas zu trinken. Seine Leibgarde ging mit ihm. Doch die drei Söhne Nuadus folgten ihm, und sie trieben ihn und seine Männer bis an den Strand des Meeres, und dort gab es einen wilden Kampf, in dem König Eochai sowie seine Verfolger fielen. Dort begrub man ihn, und man häufte einen Cairn, ein großes Grabmal aus Steinen, über ihm und errichtete drei hohe Steine daneben, um der Söhne Nuadus zu gedenken.«

»Ich habe sie gesehen«, sagte Gunhild aufgeregt, die zwischen den Kämpfen und den vielen seltsamen Namen etwas den Überblick verloren hatte. Doch das Bild des Steinhaufens am Strand und der drei aufragenden Felsen, die den Weg ins Meer wiesen, stand ihr noch genau vor Augen. »Dann ist es also wahr ... ich meine«, sie kam ins Stottern, »nicht nur ... bloß eine alte Geschichte.«

Natürlich hatte sie nie wirklich daran gezweifelt, aber irgendwie hatte sie plötzlich das Gefühl, nun selbst in die Geschichte hineingeraten zu sein; denn es ist immer etwas anderes, etwas nur zu hören oder zu lesen oder es mit eigenen Augen zu sehen. Oder etwa nicht?

»Ich meine nur«, schloss sie lahm, um ihre Verlegenheit zu überspielen, »es hat mich gewundert, dass am Ende beide Könige tot waren und eine Frau als Siegerin dasteht - wie hieß sie? Macha? Das ist bei den alten Sagen, die ich kenne, nie so.«

»Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn in Erin die Frauen die Macht übernommen hätten«, seufzte Manannán. »Dann soll dir Brigid den Rest der Geschichte erzählen.«

Eine Pause trat ein, ehe Brigid mit leiser Stimme anfing zu reden.

»Nuadu war nicht tot, nur schwer verwundet. Diancécht, der Heiler, hatte die Blutung seines Armes gestillt. Aber auch die Firbolg waren zu wenige und zu erschöpft, um noch weiterzukämpfen. So schloss man Frieden. Nuadu bot ihnen die Wahl zwischen den fünf Vierteln von Erin an - Ulad, dem Norden; Mumu, dem Süden; Connacht, dem Westen; Laigen, dem Osten; und Míde, dem Zentrum -, und Sreng entschied sich für Ulad. Als Gegenleistung für den Friedensschluss forderte er die Vermählung mit Macha, die er im Kampf gesehen und bewundert hatte. Und so geschah es.

Die Tuatha Dé Danann nahmen Besitz von Tara und von jener Zeit an nannte man es das Tara der Könige, das über allen anderen Orten steht; denn sein König ist der Hochkönig über ganz Erin.«